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Transformation braucht Haltung

  • Autorenbild: Stefanie Richter
    Stefanie Richter
  • 25. Juni
  • 6 Min. Lesezeit

Was Organisationen von der ING lernen können – und was nicht.


„Wir haben alle Führungspositionen neu ausgeschrieben. Für alle.“


Als Meike Keber diesen Satz sagt, wird es kurz still in mir. Nicht, weil ich das Prinzip nicht kenne. Sondern weil ich es selten höre – und noch seltener wirklich umgesetzt sehe.

Meike hat die agile Transformation bei der ING Deutschland federführend gestaltet. In groß. In echt. Mit allem, was dazugehört: Strukturveränderung, neue Führungsrollen, neue Arbeitsweisen – und vor allem: neue Erwartungen an Haltung.


Ich habe sie für diesen Beitrag interviewt, weil mich weniger das agile Setup interessierte – sondern vielmehr die Frage: Was macht Transformation wirksam? Was entscheidet am Ende über Erfolg oder Scheitern?


Spoiler: Es sind nicht die Methoden.


Im Interview mit Mike Keber - Global Change Management bei der ING
Im Interview mit Meike Keber, ehem. Global Change Management Lead HR Unit bei der ING

In diesem Beitrag erfährst du:

  • Warum Transformation nur mit echtem Commitment von oben funktioniert

  • Was Führung leisten muss, damit Veränderung Wirkung entfaltet

  • Warum Beteiligung mehr Struktur braucht, nicht mehr Lautstärke

  • Und welche sechs Erfolgsfaktoren dafür sorgen, dass Kulturwandel mehr wird als ein Versprechen


Ein Beitrag für alle, die Transformation nicht nur durchhalten – sondern gestalten wollen.



1. Transformation braucht ein echtes Warum – und eine entschlossene Führung.


Viele Unternehmen starten Transformationen mit der Hoffnung auf mehr Geschwindigkeit, mehr Innovation, mehr Zufriedenheit. So auch die ING. Der externe Druck war hoch – neue Player, neue Technologien, neue Kundenerwartungen. Intern wuchs die Komplexität, die Mitarbeitendenzufriedenheit sank schleichend. Also wurde reagiert. Aber nicht irgendwie. Sondern strategisch – und mit Commitment von ganz oben.


Der damalige Vorstandsvorsitzende kündigte öffentlich an: „Wir werden die erste agile Bank Deutschlands.“ Noch bevor es intern überhaupt definiert war, wie das gehen soll.

Mutig? Vielleicht. Riskant? Auch. Aber vor allem: eine klare Ansage, die Energie freigesetzt hat. Denn wie Meike sagt:

„Transformation geht nur mit echtem Willen von oben. Ohne den Rückhalt des Top-Managements kannst du es lassen.“


2. Führung muss sich zuerst verändern – sonst verändert sich nichts.


Die ING hat nicht nur die Struktur verändert. Sondern auch das Selbstverständnis von Führung. Alle Führungsrollen wurden neu ausgeschrieben – mit verändertem Anforderungsprofil: 60 % Haltung und Mindset, 40 % Fachlichkeit.


Das war kein kosmetischer Schritt. Es war eine neue Spielregel. Und ein Signal:

  • Führung wird nicht vorausgesetzt – sie muss gewollt und begründet werden.

  • Fachwissen reicht nicht mehr – es braucht Kommunikationsstärke, psychologische Sicherheit, Ambiguitätstoleranz.

  • Wer führen will, muss gestalten wollen – im Unsicheren, mit Menschen, nicht an ihnen vorbei.


Führung war plötzlich kein Status mehr, sondern Verantwortung. Und das hat die Organisation verändert. Denn Transformation wird nicht dann glaubwürdig, wenn das Organigramm neu ist – sondern wenn sich Haltung und Verhalten verändern. Sichtbar. Greifbar. Spürbar.


Neues Denken, neue Führung: Warum die ING alle Führungsrollen neu ausgeschrieben hat


3. Für Tempo braucht es Entscheidungen – und Konsequenz.


Ein oft unterschätzter Erfolgsfaktor: Zeitbegrenzung. Die ING hatte sich 18 Monate gegeben. Keine zehn Jahre, keine Dauerpiloten. Ein klares Ziel. Ein klares Zeitfenster. Punkt.


Das hatte Folgen: Entscheidungen mussten getroffen werden – auch wenn nicht alle Informationen schon vorlagen.


Ein Beispiel: Stellen wir zuerst die Ablauforga um – oder erst die Aufbauorga? Vielleicht wär beides eine richtige Antwort - oder eine falsche. Das wichtige war jedoch, dass sie getroffen wurde: Zuerst neue Rollen und Strukturen schaffen, die Prozesse folgen später. Denn: Wenn man zu lange wartet, bis alles perfekt ist, gerät der gesamte Veränderungsprozess ins Stocken. Und Tempo braucht Führung – nicht nur Pläne.


„Wenn du anfängst zu schieben, findest du immer einen Grund. Aber du verlierst Momentum.“

Diese Klarheit fehlt vielen Transformationen. Statt Entscheidungen zu treffen, wird gewartet – auf mehr Daten, mehr Sicherheit, mehr Zustimmung. Und währenddessen zieht der Widerstand ein. Oder die Müdigkeit.



4. Beteiligung ist kein Selbstzweck – sie braucht Struktur.


Ein weiteres Learning aus dem Gespräch: Informieren ist wichtig – aber es kann auch ein zu viel an Informationen geben.

"Bei der ING haben wir zunächst versucht, Mitarbeitende maximal direkt zu informieren: kein Filter, keine Führungskraft dazwischen. Agil halt. Ergebnis: Überforderung.", erzählt mir Meike.

Warum? Weil die Mitarbeitenden schlichtweg weder die Zeit noch den Überblick hatten, sich mit der Flut an Informationen auseinanderzusetzen. Viele Inhalte waren zudem noch nicht final entschieden – Fragen wie „Wer wird meine Führungskraft?“ oder „Was genau ändert sich für mich?“ blieben oft unbeantwortet. Was als Transparenz gedacht war, wurde so zur Belastung: Informationen ohne Kontext verunsichern, statt zu befähigen.


Also wurde nachgesteuert. Nicht zurück zur alten Welt – aber Informationen mit mehr Struktur. Und so entstand eine neue Kommunikationskaskade: Klare Filter. Neue Formate: Agile Cafés, Pizza-Sessions, agile Safaris. Beteiligung wurde nicht abgebaut – sondern gezielter gestaltet.


„Die Frage ist nicht: Wie kriege ich alle ins Boot? Sondern: Wie gestalte ich die Reise so, dass Mitgehen möglich wird.“

Daraus folgt:

  • Beteiligung ohne Einordnung der Informationen schafft Verunsicherung.

  • Kommunikation ohne Struktur überfordert.

  • Transparenz braucht Timing.



5. Change-Begleitung ist kein Luxus – sie ist Pflicht.


Wenn Führungskräfte glauben, Transformation sei mit der Reorganisation oder der Einführung eines neuen Systems abgeschlossen, beginnt das eigentliche Problem. Denn Veränderung passiert nicht im Projektplan, sondern im Kopf. Und dort oft zeitverzögert. Während das Top-Management schon drei Schritte weiter ist - weil sie sich schon seit Monaten mit dem Thema auseinander setzen - ringt die Belegschaft noch mit dem ersten Schritt. Wer das nicht einpreist, wird scheitern – nicht, weil die Idee schlecht ist, sondern weil die emotionale Kurve ignoriert wurde.

„Veränderung tut weh. Und wenn sie nicht weh tut, ist es keine wirkliche Veränderung.“

Genau deshalb brauchten Transformationen Begleitung - die ING hatte sie eingeplant: Mit Change-Begleitung, Formaten, Lernangeboten und ehrlicher Kommunikation über das, was noch nicht klar ist. Wichtigster Hebel: Führungskräfte, die verstehen, dass sie nicht nur Prozesse steuern, sondern Menschen durch Unsicherheit führen. Die die Veränderungen aushalten und in Beziehung bleiben.



6. Transformation ist Kulturarbeit. Immer.

Transformation ist nicht das, was auf der Roadmap steht. Sondern das, was zwischen Menschen passiert. Zwischen Anspruch und Verhalten. Zwischen Idee und Alltag.

Deshalb sagt Meike zum Schluss:

„Kultur passiert nicht nebenbei. Sie ist kein Zufallsprodukt. Sie muss gestaltet werden.“

Und genau das macht den Unterschied:

  • Ob Werte erlebbar sind – oder nur auf Roll-ups kleben.

  • Ob Fehler als Lernchance gelten – oder als Risiko.

  • Ob Mitarbeitende gestalten dürfen – oder sich anpassen müssen.



Fazit 

Was bleibt nach dem Gespräch mit Meike Keber und dem Blick auf die ING-Transformation?


Transformation gelingt nicht, weil man agil arbeitet. Sondern weil man Haltung zeigt. Weil man bereit ist, mutige Entscheidungen zu treffen – auch wenn sie unpopulär sind. Weil man Führung neu denkt, Mitarbeitende einbindet, statt sie zu überfordern. Und weil man die Veränderung nicht als Projekt, sondern als Kulturaufgabe begreift.


Zitat von Meike Keber aus dem Interview: Veränderung braucht Zeit und tut weh.
Veränderung tut weh. Veränderung braucht Zeit. - Meike Keber heute B2C Transformation Officer bei der TARGOBANK

Die sechs Erfolgsfaktoren, die sich im Gespräch herauskristallisiert haben:

  1. Ein klares Warum – und sichtbares Commitment von ganz oben

  2. Führung, die bereit ist, sich selbst zu verändern

  3. Tempo durch Entscheidungen und Konsequenz

  4. Beteiligung mit Struktur, nicht als Selbstzweck

  5. Change-Begleitung als integraler Bestandteil

  6. Kulturarbeit als langfristige Führungsaufgabe


Transformation heißt nicht: alles neu machen. Transformation heißt: das Richtige neu denken – und es dann gemeinsam umsetzen.


 

Reflexionsfragen zum Weiterdenken:

  • Was wäre in deiner Organisation nötig, um aus einem Methodenprojekt ein echtes Kulturprojekt zu machen?

  • Wie klar ist euer „Warum“ – und wer trägt es sichtbar nach außen UND innen?

  • Wie bereit ist eure Führung, Verantwortung neu zu verstehen – und wirklich zu übernehmen?

  • Gibt es Räume für Emotionen, Ambivalenz und offene Fragen – oder nur Pläne?


Transformation gelingt nicht mit Blaupausen. Aber sie kann gelingen – wenn sie konsequent geführt, radikal gedacht und menschlich begleitet wird.



Und jetzt?


Vielleicht begleitest du selbst gerade eine Transformation. Oder du steckst mittendrin. Vielleicht fragst du dich, wie du in dieser Komplexität Klarheit finden kannst – für dich und für andere.


Dann frag dich nicht nur: Was tun wir? Sondern: Wie tun wir es? Und warum?

Wenn du Hilfe brauchst, dann schau dir mein 90-Minuten-Sparring an – deine konzentrierte Session zum Sortieren und Erarbeiten von individuellen Lösungen, die dir wirklich weiterhelfen.


Denn Transformation ist kein Methodenprojekt. Sie ist ein kultureller Kraftakt. Und er gelingt nur, wenn er konsequent geführt, radikal gedacht und menschlich begleitet wird.

Und wenn du erst noch eine Weile von der Seitenlinie zuschauen möchtest, dann trag dich in meinen Newsletter ein. Für kostenlose Impulse und Kompaktwissen zu Veränderungsprozessen. Denn: Together we change.


 

Über Meike Keber


Meike Keber ist heute B2C Transformation Officer bei der TARGOBANK und war zuvor viele Jahre bei der ING Deutschland tätig – unter anderem als Global Change Management Lead im internationalen HR-Konsolidierungsprogramm. Dort verantwortete sie zentrale Transformationsprojekte und gestaltete maßgeblich den Wandel hin zu agilen Strukturen und neuer Führungskultur.

 

Mit ihrer langjährigen Erfahrung im Change Management, ihrer systemischen Perspektive und ihrem strategischen Gespür begleitet sie Organisationen durch komplexe Veränderungsprozesse – klar, verbindlich und mit einem feinen Gespür für kulturelle Dynamiken. Ihre inhaltlichen Schwerpunkte liegen in der Begleitung agiler Transformationen, dem Aufbau wirksamer Führungsarchitekturen und der Verknüpfung von HR-, Organisations- und Kulturentwicklung.


Meike ist eine leidenschaftliche Gestalterin von Wandel, die nicht nur Struktur, sondern vor allem Haltung in Transformation bringt. Vielen Dank, Meike Keber, für das inspirierende Gespräch und deine klaren Worte.

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